Krise

Von Flick bis zum Fansupport: Die 10 Probleme des DFB-Teams

Deutschland unterliegt Japan mit 1:2. Foto: Getty
Deutschland unterliegt Japan mit 1:2. Foto: Getty

Seit Jahren steht es um die deutsche Nationalmannschaft schlecht, doch vor der Weltmeisterschaft in Katar war der DFB-Tross sicher: Deutschland kann um den WM-Titel mitspielen. Nach der Auftaktpartie beziehungsweise der Blamage gegen Japan (1:2) droht Deutschland aber das zweite WM-Aus in der Gruppenphase in Folge. Der wesentliche Grund: Nach dem Hype um die deutsche Mannschaft zwischen 2006 und 2016 hat sich nach Pleiten in den Folgejahren mit unter anderem Niederlagen gegen "Underdogs" wie Nordmazedonien und Klatschen wie gegen Spanien (0:6!) wenig beim DFB verändert. Es gibt grundsätzliche Probleme beim DFB-Team, die sich auch auf die WM 2022 auswirken. fussball.news nennt 10 wesentliche Probleme der deutschen Nationalmannschaft:

1. Der Trainer

Das dürfte Spieler, Fans und Berichterstatter überrascht und geschockt haben: Die Niederlage gegen Japan ist an oberster Stelle Bundestrainer Hansi Flick zuzuschreiben. Nahezu alle Fußballmedien führten nach dem 1:2 detailliert aus, wie sich Flick gegen Japan vercoacht hatte. Zunächst sorgte Flick für Verwunderung mit der Startaufstellung (u.a. Niklas Süle als Rechtsverteidiger), dann versagte Flick im In-Game Coaching: Er reagierte in der 2. Halbzeit nicht auf Japans taktische Umstellung und er wechselte katastrophal aus: Die erfahrenen Thomas Müller und Ilkay Gündogan gingen vom Platz, fortan fehlte dem Team die Ordnung. Es ist aber nicht das erste Mal, dass Flick eine schwache Leistung als Coach abliefert. Dass Deutschland aus zehn Pflichtspielen im Jahr 2022 erst drei Siege geholt hat, darunter ein "1:0-Arbeitssieg" gegen "Underdog" Oman, hätte schon früher zu denken geben sollen.

2. Kein Mittelstürmer von internationalem Format

Zugute muss man Flick halten: Er hat eine eingeschränkte Auswahl an deutschen Topspielern. Der frühere englische Weltklassestürmer Gary Lineker beschäftigt sich intensiv mit der deutschen Mannschaft und bringt es dabei immer wieder gerne auf den Punkt. "Football is a simple game; 22 men chase a ball for 90 minutes and at the end, the Germans always win", ist dazu seine bekannteste Aussage. Der Spruch entspricht aber nicht mehr der Realität. Deshalb sagte Lineker zuletzt bei Magenta TV: "Wenn Lewandowski Deutscher wäre, würde ich sagen: Ihr seid absoluter Favorit für den WM-Sieg." Will heißen: Deutschland zeichnete sich bei früheren Turnieren durch Effizienz aus, oftmals weil starke Mittelstürmer wie Gerd Müller, Rudi Völler oder Miro Klose die wenigen herausgespielten Chancen in Tore ummünzten. Seit Herbst 2014 hat Deutschland aber keinen "Bomber" mehr in der Sturmzentrale. Ex-Bundestrainer Joachim Löw und Nachfolger Hansi Flick versuchen meist mit Teilzeitkräften auf dieser Position (Thomas Müller, Serge Gnabry, Kai Havertz), die Schwäche zu kaschieren. Oftmals klappt das Kaschieren aber nicht mehr. Nun hat Flick zur WM 2022 mit Niclas Füllkrug immerhin einen gelernten Mittelstürmer in guter Form nach Katar mitgenommen, doch Flick fehlte gegen Japan der Mut, dafür einen Champions-League-Sieger von 2020 (Müller, Gnabry) oder 2021 (Havertz) auf die Bank zu setzen.

3. Verzweiflung auf der rechten Außenverteidigerposition

Noch mehr Sorgen bereitet die rechte Außenverteidigerposition. Diesem Thema hat sich fussball.news schon mehrfach ausführlich gewidmet und anhand der Verzweiflungstaten von Flick auf dieser Position war abzuleiten, dass der deutschen Mannschaft ein schweres Turnier bevorsteht. Dennoch überraschte Flick im negativen Sinne nochmals bei der WM selbst. Er probierte in seiner Amtszeit seit Herbst 2021 vier Spieler als Rechtsverteidiger aus, um dann bei der WM einem fünften Spieler, Niklas Süle, eine Chance zu geben. Das fatale Ergebnis: "Dank" des Versagens auf der rechten Außenbahn erzielte Japan zwei Tore. Dabei hätte es zwei vernünftigere Lösungen auf der rechten Seite gegeben: Bericht - Knauff oder Kimmich?.

4. Automatismen fehlen

Mindestens der zweite Gegentreffer von Japan hatte aber auch zur Ursache, dass im deutschen Team die Automatismen fehlen. Antonio Rüdiger und Nico Schlotterbeck spielten auf Abseits - Niklas Süle hob es auf. Warum fehlen die Automatismen im Team? Vor allem, weil Deutschland es spätestens zur WM 2018 versäumt hat, einen Umbruch in der Mannschaft einzuleiten, weg von den Weltmeistern 2014 hin zu neuen Talenten, die Zeit brauchen und Erfahrung sammeln müssen. Durch das Festhalten an Joachim Löw bis zur EM 2021 wurde auch der Umbruch verzögert, hinzu kam die Coronazeit, in der weniger Länderspiele unter echten Wettbewerbsbedingungen zustande kamen. Und: Flick hatte die Chance, einen Bayern-Block, einen Dortmund-Block und einen sehr erfolgreichen Frankfurt-Block zu nominieren und zusammenzufügen, um von gewissen Automatismen zu profitieren. Flick zerhackte sich alles selbst, denn er nahm in der Zentrale das Bayern-Duo Kimmich/Goretzka auseinander, von fünf Dortmundern im WM-Kader wiederum spielten nur zwei von Beginn an, aber nicht nebeneinander sondern zwischen Toni Rüdiger - und auf die Frankfurter Europacupchampions verzichtete Flick bei der Nominierung (Knauff, Rode) und in der Startelf (Götze, Trapp).   

5. Unerfahrene Spieler

In diesem Zusammenhang muss aber auch die Unerfahrenheit der Mannschaft als Entschuldigung für Flick angeführt werden. Ein zögerlicher Löw hielt die Talentförderung auf, dann folgten schwache Ergebnisse und weniger Spiele auf Topniveau. Nun kann man anführen, dass im deutschen Team viele Champions-League-Sieger und Champions-League-erfahrene Spieler vorhanden sind (Bericht), aber viel entscheidender ist eine andere Statistik, die fussball.news zusammengestellt hatte: Kaum ein deutscher Spieler verfügt über Erfahrung bei einem WM-Turnier. Viele andere Mannschaften sind dem deutschen Team in diesem Bereich weit voraus. Gegen Japan war dies ein entscheidender Nachteil. Es fehlten WM-erfahrene Profis, die das Spiel ab Minute 60 zum Guten hätten lenken können.

6. Unfitte Stars

Die deutschen Spieler erzählten im Vorfeld, sie seien fit für das Turnier, doch faktisch ist das nicht korrekt. Thomas Müller war über einen Monat verletzt und wirkte auch gegen Japan körperlich noch nicht bei hundert Prozent. Keeper und Kapitän Manuel Neuer plagte eine Schulterverletzung, erst kurz vor dem Turnier meldete er sich fit. Das zweite Gegentor gegen Japan haben aber Spekulationen genährt, Neuer sei noch nicht fit. Denn statt sich dem Schuss von Asano entgegenzustellen, zog er seine Schulter weg vom Schuss, als hätte er vor etwas Angst gehabt. So erklärte es die deutsche Nationaltorhüterin Almuth Schult in der ARD. Hinzu kommen weitere Spieler, die erst kürzlich vermeintlich fit geworden sind wie Rechtsverteidiger Lukas Klostermann.

7. Kein Teamgeist

Auch gibt es Spekulationen, ob die DFB-Spieler untereinander zerstritten sind. Der DFB dementiert. Tatsächlich gibt es keine klaren Anzeichen dafür, dass sich manche Spieler feindlich gegenüberstehen. Allerdings reicht es für den Erfolg nicht aus, sich nur gut zu verstehen. Große Mannschaften leben von einem großartigen Teamgeist, bei dem vor allem auf dem Feld jeder Spieler dem anderen hilft. Beim ersten Gegentor gegen Japan zum Beispiel hatte der eingewechselte Leon Goretzka keine Lust, seinem Gegenspieler in den Strafraum nachzujagen. 2014-Weltmeister Bastian Schweinsteiger zog aufgrund dieser Szene eine interessante Schlussfolgerung (Bericht). Generell sei zudem die Frage gestellt, ob Manuel Neuer noch der richtige Kapitän für die Mannschaft ist. Neuer schaffte es weder als Sprachrohr nach außen deutliche Statements für die Mannschaft zu setzen, noch scheint er intern Zeit für teambildende Maßnahmen zu haben, schließlich muss er sich wiederholt selbst mit Verletzungen in der Reha herumplagen. Sollte am Sonntag gegen Spanien verloren werden, wird es nach der WM 2018 und der EM 2021 das dritte Turnier in Folge sein, bei dem Deutschland sich mit Kapitän Neuer blamiert. Auch rein technisch bleibt die Frage, ob nicht ein Feldspieler als Kapitän mehr Einfluss auf die Mannschaft während des Spiels nehmen kann.

8. Staff ohne Wirkung

Die Zusammensetzung des DFB-Teams ist aber nicht nur auf Spielerebene fragwürdig. Zum Beispiel haben viele Topnationen einen Co-Trainer von Format engagiert: Er war entweder ein sehr erfolgreicher Exprofi (u.a. Edgar Davids / Niederlande) oder er war als Co-Trainer über 20,30 Jahre im Fußballgeschäft titelhungrig u.a. Guy Stephan / Frankreich). Deutschland hat dagegen als Co-Trainer Marcus Sorg. Seine Biografie ist weder als Spieler noch als Trainer erwähnenswert, wenn es um internationalen Topfußball geht. Sorg besitzt nicht die Autorität und Kraft, den Chefcoach auch mal vor falschen Entscheidungen zu warnen oder Champions-League-Siegern in Krisensituationen die Meinung "zu geigen". Sorg ist aber nicht der einzige Schwachpunkt im Staff des DFB-Teams. Welchen Nutzen hat Deutschland bislang daraus gezogen, seit 2021 einen dänischen Coach (Mads Buttgereit) für Standards engagiert zu haben? Gegen Japan, als es darauf ankam, war in Sachen Standards kein Fortschritt zu bemerken.

9. Kaum Support aus Deutschland

Bei großen Turnieren heutzutage werden Nationalmannschaften von einem erheblichen Teil der Bevölkerung in irgendeiner Form unterstützt, die Fans verleihen der Mannschaft Emotionen und Selbstvertrauen. In Ecuador zum Beispiel gab es sogar schulfrei, um der Fußball-Verrücktheit der Nation noch mehr Support zu verleihen. Seit Freitag flehen dagegen die deutschen Spieler (Havertz: Wissen, dass 100-prozentige Support fehlt) um Unterstützung aus der Heimat, denn auch sie haben mitbekommen, dass sie sowohl moralisch/politisch als auch sportlich bei vielen deutschen Fans mittlerweile auf Skepsis stoßen. Nicht mal zehn Millionen Zuschauer haben sich das Spiel gegen Japan angesehen, üblich sind bei solchen Spielen Quoten zwischen 15 und 20 Millionen Zusehern. Ein Einbruch um rund 50 Prozent. Die Kritik in Medien und Social Media am deutschen Team hat zugenommen, manche Spieler sollen ihre Accounts sogar stummgeschalten haben, weil sie die Kritik nicht mehr aushalten. Kann man die Stimmung noch drehen? Wohl erst zur Heim-EM 2024...

10. Oliver Bierhoff

Ein Schlüssel für eine erfolgreichere deutsche Mannschaft liegt aber auch im Management. Im DFB gibt es seit Jahren Skandale, Machtkämpfe und Intrigen. Vier gewählte DFB-Präsidenten in nicht mal acht Jahren sprechen gegen den DFB. Die deutsche Mannschaft wiederum erleidet sportlich seit rund fünf Jahren eine Blamage nach der anderen, nur ein Funktionär will partout nicht einsehen, dass er dafür irgendwie und irgendwo mitverantwortlich ist: Oliver Bierhoff. Seit 2004 ist der Ex-Profi quasi als "Manager" beim DFB und hat nach und nach seinen Willen und seine Ideen durchgesetzt. Bierhoff besitzt eine große Machtfülle und damit auch Verantwortung für den Erfolg - oder eben Misserfolg. Nach dem Turnier sollte man die Frage stellen, ob Bierhoff, der derzeit beim DFB als "Direktor Nationalmannschaften und Akademie" tätig ist, womöglich derjenige ist, der den Umbruch beim DFB sportlich, organisatorisch und politisch am stärksten bremst.

Für die Weltmeisterschaft 2022 bleibt festzuhalten: Das einst sehr erfolgreiche DFB-Team kann sich glücklich schätzen, wenn es überhaupt noch in die K.o.-Runde vordringt.

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Daniel Michel  
26.11.2022