Bremen in der Kritik

"Folter-Fußball"? Was man Werder vorwerfen kann - und was nicht

Florian Kohfeldt coacht seit 3 Jahren Werder Bremen.
Florian Kohfeldt coacht seit 3 Jahren Werder Bremen. Foto: Getty

Werder Bremen stand oftmals in seiner Historie für aufregenden Offensiv-Fußball. Trainer Florian Kohfeldt hat besonders 2017/18 und 2018/19 diese stilistische Tradition fortgeführt. Nun aber gibt es in der sportlichen Ausrichtung eine Kehrtwende, zahlreiche Berichterstatter und Fans kritisieren Werder für den gezeigten Fußball scharf - doch zurecht?

Trainer Florian Kohfeldt und Manager Frank Baumann räumen ein, dass Werder keinen attraktiven Fußball in dieser Saison bislang spielt - aber zehn Punkte nach sieben Spieltagen und Tabellenplatz neun können sich ergebnistechnisch sicher sehen lassen. Die Bremer legen offenbar alles darauf aus, in dieser Saison nicht in den Abstiegskampf zu geraten. Zur Erinnerung: Letzte Saison wurde der Klassenerhalt erst in der Relegation gegen Heidenheim mühselig gesichert. "Von Folter-Fußball zu sprechen, das passt nicht. Klar, es war kein Schmankerl, aber wir haben das Spiel kontrolliert, hatten Chancen, haben uns nach dem Rückstand zurückgekämpft und hätten am Ende gewinnen müssen", bilanzierte nun Manager Frank Baumann in der Deichstube das 1:1 zuletzt gegen den 1. FC Köln und bilanzierte den Saisonstart: "Bei der Bewertung unserer Auftritte ist in dieser Saison das Glas meistens halb leer. Für uns ist es aber mindestens halb voll."

Finanzgeplagtes Werder

Das vor allem durch die Coranakrise geplagte Werder sagt sinngemäß, dass es auf dem Transfermarkt kaum an Qualität zulegen konnte. Dafür gab es mit Mittelfeldchef Davy Klaassen (Ajax Amsterdam) einen sportlich kaum zu ersetzenden Abgang. Und der Aderlass beim Bremer Kader zieht sich seit mehreren Jahren, immer gepaart mit einer finanziell schwierigen Situation. Im Vorjahr verließ Topstürmer und Torgarant Max Kruse die Bremer, in der Saison davor ging ebenfalls der wohl bedeutendste Spieler: Kapitän Zlatko Junuzovic.

Insofern ist es derzeit eine realistische Spielstrategie der Bremer, der Konkurrenz Punkte über eine geschlossene Mannschaftsleistung und intensive Zweikämpfe abzuringen, auch wenn es vielleicht nicht dem typischen Bremer Stil entspricht. Auch führen die Bremer Verletzungspech und den Ausfall von Leistungsträgern an, darunter Stürmer Niklas Füllkrug. Auch das zieht sich allerdings schon über Jahre, man denke nur an die vergangene Saison, als zeitweise fast eine komplette Startelf gefehlt hatte.

Talentförderung vernachlässigt

Was man den Bremern bei all der Finanznot allerdings schon vorwerfen kann:

Warum kommt selbst in schwierigen Zeiten sehr wenig Verstärkung aus dem Nachwuchsbereich? Denn Talente setzen sich meist bei Vereinen durch, wenn diese in Not sind und "junges Blut" mit überraschenden Auftritten die Vereinsverantwortlichen von sich überzeugt.

Und: Warum geht schon länger Werder die Kreativität auf dem Transfermarkt verloren? Natürlich schwelgen viele Werder-Fans noch von den guten Zeiten unter den langjährigen Managern Willy Lemke und Klaus Allofs. Ein Mario Basler wurde einst in der Zweiten Liga entdeckt und entwickelte sich zum Topstar der Bundesliga. Unter Allofs gab es in den Anfangsjahren sensationelle Importe aus Frankreich (Johan Micoud) und Brasilien (Diego).

Bremen ist das Gefühl für den eigenen Nachwuchs und das goldene Händchen beim Verpflichten von "Rohdiamanten" offenbar abhanden gekommen. Dieser Qualitätsbaustein fehlt den Bremern derzeit. Und dafür kann fehlendes Geld allein keine Ausrede sein. Für die aktuelle Bremer Saison kann man aber Trainer Florian Kohfeldt kaum etwas vorwerfen: Der Klassenerhalt hat oberste Priorität.

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Daniel Michel  
09.11.2020