Interview

Ex-Profi Kastenmaier: "Vielleicht muss Max Eberl mal ein Machtwort sprechen"

Thomas Kastenmaier (l.) zusammen mit Martin Dahlin. Beide spielten in den 90er-Jahren erfolgreich für Borussia Mönchengladbach.
Thomas Kastenmaier (l.) zusammen mit Martin Dahlin. Beide spielten in den 90er-Jahren erfolgreich für Borussia Mönchengladbach. (Foto: imago)

Thomas Kastenmaier ist in München geboren und gab 1989 sein Debüt bei den Profis des FC Bayern. Mit dem Meistertitel wechselte der Defensivakteur und Freistoß-Spezialist eine Saison später zu Borussia Mönchengladbach. Sein größter Erfolg mit den Fohlen war der Triumph im DFB-Pokal 1995 - seitdem hat Gladbach keinen großen Titel mehr gewonnen. Seit über zehn Jahren führt Kastenmaier erfolgreich seine eigene Fußballschule ("Kastes Fußballschule") und lehrt zusammen mit einigen weiteren Ex-Stars wie Bachirou Salou Kindern das Einmaleins des Kickens.

Im Exklusiv-Interview mit fussball.news verrät Kastenmaier nun, warum er einst bei Trainer Jupp Heynckes in Ungnade gefallen war, weshalb die aktuellen Gladbach-Profis Lockrufen aus München widerstehen sollten und was ihn an Joshua Kimmich begeistert. Zudem blickt Kastenmaier auf das kommende Pokal-Duell zwischen seinen beiden Ex-Klubs voraus.

Das Interview führt fussball.news-Reporter Tom Jacob

fussball.news: Herr Kastenmaier, Sie sind 1989 zum Profi gereift und erlebten in den 90er-Jahren Ihren Karriere-Höhepunkt. Wie hat sich denn der Fußball gut 30 Jahre danach verändert?

Thomas Kastenmaier: „Man hört immer alle sagen: Das Spiel ist so schnell geworden und athletisch, und viel mehr Taktik und alles drum und dran. Das mag vielleicht in der Mehrzahl der Spiele auch stimmen, aber ich kann mich noch gut erinnern, zum Beispiel das Spiel gegen den FC Schalke 04 im DFB-Pokal-Viertelfinale 1995, da ging es auch hin- und her. Da war Tempo drin, da waren Torchancen. Also teilweise war es damals genauso wie heute. Und athletisch waren wir auch. Der einzige Unterschied ist: Wir waren nicht so oft verletzt wie die Spieler heute. Wir mussten unsere 30 Spiele in der Bundesliga machen, damit wir überhaupt auf unser Gehalt kamen.“

fussball.news: Apropos Geld: Wären Sie gern heute noch einmal Profi? Oder gibt es Vorzüge aus Ihrer Zeit?

Kastenmaier: „Ich sage mal so: Aus Liebe zum Sport und bei der Qualität, die ich damals hatte, als ich mit 30 Jahren aufhören musste, würde ich gerne noch einmal 20 Jahre jung sein und kicken. Allerdings mit dem ganzen Drumherum auch wieder nicht. Wir waren damals eine Generation, die nach dem Spiel gern auch mal ein Bierchen getrunken hat. Da saßen wir zusammen und haben geredet. Heutzutage mit der ganzen Fotografiererei, Posterei und den ganzen Shitstorms, die es im Internet gegen einen gibt - das ist nicht mehr lustig. Als Spieler kannst du das vielleicht noch wegstecken, aber wenn es gegen die Familie geht, dann ist das nicht mehr schön.“

fussball.news: 41 Tore in 191 Bundesliga-Partien lesen sich für einen Rechtsverteidiger sehr ordentlich. Haben Sie schon damals den modernen Außenbahnspieler verkörpert?

Kastenmaier: „Das ist schon fast der Schnitt eines Stürmers. Jedes dritte, vierte Spiel ein Tor - das ist für einen Außenverteidiger schon nicht schlecht. Aber ich sage da immer: Ich musste notgedrungen rechter Verteidiger spielen, erst ab der Mittellinie ging für mich der Fußball los. Für mich war das Toreschießen und Tore vorbereiten interessant. Verteidigen war eher ein Notübel, was man auch noch erledigen musste, damit der Trainer draußen an der Seitenlinie nicht durchdreht. Allerdings war meine Mannschaft immer auch mit guten Mittelfeldspielern bestückt, die froh waren, dass ich den vorderen Part übernommen habe und sie dann auch mal hinten absichern konnten.“

fussball.news: Im Jahr 1989 sind Sie in den Profi-Kader des FC Bayern München, ihrem Heimatverein, aufgestiegen. Sie haben auf Anhieb ihre erste deutsche Meisterschaft gewonnen und im Europapokal Einsätze erhalten. Wie bewerten Sie Ihren Karriere-Start rückblickend?

Kastenmaier: „Innerhalb eineinhalb Jahren habe ich es von den Amateuren in den Profi-Bereich geschafft. In meinem ersten Jahr habe ich noch 30-mal auf der Bank gesessen. Im zweiten Jahr dann durfte ich unter Jupp Heynckes dann elf Spiele absolvieren. Und da merkte ich: Jetzt bin ich topfit, jetzt kann ich auch mithalten. Von da an wollte ich natürlich jedes Wochenende in irgendein Stadion rein. Und zwar nicht um auf der Bank zu sitzen, sondern ich wollte aufs Feld, ich wollte spielen. Denn da warteten die ganzen internationalen Duelle gegen Spieler wie Diego Maradona und Ruud Gullit und wie sie alle heißen, da wollte ich natürlich mehr davon.“

fussball.news: Doch es kam anders. Sie sind im Sommer 1990 zu Borussia Mönchengladbach gewechselt ...

Kastenmaier: „Der Grund war: Ich hatte mich zu der Zeit mit dem Jupp überworfen. Bei meinem ersten Interview hatte ich mich einem Journalisten anvertraut, aber was dabei herausgekommen ist, das war nicht so gern gesehen. ‚Kastenmaier kritisiert Heynckes‘ hieß die Schlagzeile. Da war das Ding durch. Erst sollte ich zum FC St. Pauli wechseln, aber da wollte ich nicht hin, weil mir der Leistungs-Unterschied zu groß war. Dann sollte ich zum 1. FC Köln gehen, da war eigentlich schon alles sicher, doch das hatte sich durch irgendein Palaver im Vorstand wieder zerschlagen. Danach bin ich zu Uli Hoeneß ins Büro und habe mit ihm über Borussia Mönchengladbach gesprochen. Und so kam es dann auch zum Wechsel. Ich muss aber auch sagen: Zu dem Zeitpunkt waren bei Bayern 16 Nationalspieler plus drei weitere internationale Stars in der Mannschaft. Der Kader war schon sehr, sehr gut bestückt. Obwohl ich einmal drin war, hätte ich mich nach meiner Verletzung wieder heran arbeiten müssen, das hätte mir zu lange gedauert. Deshalb habe ich Gott sei Dank den richtigen Schritt gemacht und bin nach Gladbach gegangen.“

fussball.news: Sie blieben bis Ende ihrer Karriere im Jahr 1998 bei den Fohlen. Warum kam nie ein anderer Klub mehr in Frage? Was machte die Borussia so besonders?

Kastenmaier: „Peu à peu wurde dort eine richtig gute Mannschaft zusammengestellt. Es kamen Spieler wie Martin Dahlin, Patrik Andersson, Peter Nielsen, Heiko Herrlich und als Sahnestück des Ganzen der Stefan Effenberg. 1995 haben wir dann den DFB-Pokal gewonnen, da waren wir so eine tolle Truppe. Unsere Ersatzbank war teilweise besser als die der Bayern. Eines Tages kam Dragoslav Stepanovic, der damals Trainer bei Bayer Leverkusen war, auf meinen Kollegen Jörg Neun und auf mich zu und fragte, ob wir nicht zu ihm wechseln wollen würden. Da gäbe es auch einen besser dotierten Vertrag für uns. Doch wir haben uns angeschaut und gesagt: ‚Nein, darauf haben wir keine Lust.‘ Und sind gegangen. Es war so, dass ich mich in Gladbach sehr, sehr wohlgefühlt hatte. Ich war zufrieden mit meinem Leben und mit der sportlichen Situation. Da gab es nicht den Reiz, zu wechseln. Außerdem war ich ein Typ, der Verträge immer langfristig verlängert hat, weil ich wollte meine Ruhe haben.“

fussball.news: Sie haben den Pokalerfolg 1995 angesprochen. Sind Sie stolz darauf, zu den Spielern zu gehören, die bis heute den letzten großen Titel mit Gladbach gewonnen haben?

Kastenmaier: „Ja natürlich! Darauf lege ich sehr großen Wert. Vor allem weil ich zu jenen Spielern gezählt habe, die 1992 niedergemacht wurden, als wir das Finale gegen Zweitligist Hannover 96 im Elfmeterschießen verloren hatten. Aber drei Jahre später besaßen wir so eine gute Truppe, da hätte auch jeder andere Gegner dastehen können - da hätten wir nichts anbrennen lassen. Der Titel war einfach fällig."

fussball.news: Nach Ihrer aktiven Karriere schlugen Sie die Trainerlaufbahn ein, heute leiten Sie die „Kastes Fussballschule“, trainieren gemeinsam mit alten Weggefährten Kinder, denen Sie die Tugenden des Fußballs beibringen. Wie kam es dazu?

Kastenmaier: „Erst hatte ich sechs Jahre die Jugend bei der Borussia trainiert, später habe ich die Amateure übernommen. Doch dann kam Horst Köppel, der mich durch ganz komische Art und Weise vom Verein hat entfernen lassen. Warum weiß kein Mensch, da kann man heute noch darüber streiten. Dann bin ich mit Frantisek Straka, meinem früheren Mitspieler, zu LR Ahlen gegangen, als Co-Trainer in der 2. Bundesliga. Doch das hielt nicht lange. Und wie der Zufall das so wollte, war ich einmal bei der Puma-Fußballschule mit unterwegs, wir sind quer durch Deutschland gereist. Das war zunächst eine ganz lustige Sache. Irgendwann dachte ich mir: Das kannst du ja eigentlich auch. Vielleicht nicht in so einem großen Umfang, aber dennoch in einem vernünftigen Maß. Und ich hatte mir damals immer auf die Fahne geschrieben: Wenn ich das mal mache, dann immer zusammen mit meinen alten Kollegen. Genauso ist es dann auch gekommen. Heute sind wir in der 13. Saison!“

fussball.news: Wie erging es Ihrer Fußballschule in den vergangenen eineinhalb Jahren während der Corona-Pandemie?

Kastenmaier: „Da mussten wir natürlich abspecken. Normalerweise habe ich so 15 bis 20 Schulen im Jahr, aufgrund des Lockdowns mussten wir aber jeweils die Camps zu Ostern absagen und die anderen nach hinten schieben, sodass immerhin noch zwölf Camps pro Jahr zustande gekommen sind. Manchmal kam es vor, dass wir drei Camps infolge veranstaltet und ohne Pause durchgezogen haben. Das ist dann auch mal ein bisschen anstrengend gewesen, aber wenn du nach jeder Schule rausgehst, die Kids mit einem breiten Grinsen im Gesicht vor dir stehen siehst und die sich schon aufs nächste Jahr freuen - das ist der Grund, warum wir das machen.“

fussball.news: In diesem Sommer wurden mehrere Gladbach-Stars wie Florian Neuhaus, Jonas Hofmann, Denis Zakaria und Matthias Ginter mit dem FC Bayern München in Verbindung gebracht. Sie kennen nun beide Vereine genau. Sehen Sie einen dieser genannten Spieler demnächst beim Rekordmeister? Trauen Sie ihnen den Schritt nach München zu?

Kastenmaier: „Alle Profis, die aktuell bei Gladbach spielen, können froh sein, dass sie da Stammspieler sein dürfen. Wenn dann jemand von den Bayern angeworben wird, dann stellen sich zwei Fragen: Will ich mehr Geld verdienen und nur noch ein Drittel meiner Einsatzzeit spielen? Oder will ich jedes Wochenende auf dem Platz stehen und mich vielleicht noch verbessern, um auch in der Nationalmannschaft meine Karriere zu fördern? Letzteres geht aber nicht, wenn man bei den Bayern nur jedes fünfte, sechste Spiel dabei ist. Und aus der Vergangenheit hat man gelernt, wie unglaublich schwer es ist, beim FC Bayern Stammspieler zu werden. Bei den Spielern, die da alle schon gesetzt sind. Wenn man dann eben nur Ersatzmann ist, dann bringt einen das nicht weiter. Im Gegenteil! Es wirft dich eher etwas zurück. Beispiele gab es da in den letzten Jahren ja genug.“

fussball.news: Also sollten die genannten Spieler lieber Gladbach treu bleiben?

Kastenmaier: „Fakt ist, dass die ganzen Gerüchte ja mittlerweile lästig werden. Vielleicht muss der Max Eberl mal ein Machtwort sprechen. Denn wenn jede Woche acht Leute irgendwo im Gespräch sind, aber keiner ausdrücklich sagt, dass er bei der Borussia bleiben möchte, dann herrscht immer eine stetige Unruhe vor. Nico Elvedi hat es dagegen richtig gemacht und direkt verlängert. Der weiß genau, was er an Gladbach hat, er ist da Stammspieler, macht sein Ding und will sich durchsetzen. Gladbach kann nur mal wieder einen Titel holen, wenn die Mannschaft sich einspielt und über mehrere Jahre zusammenbleibt. Du brauchst eine vernünftige Truppe, die weiß, worum es geht. Wenn du aber jedes Jahr die Besten verlierst, dann wirst du wahrscheinlich nicht in der Lage sein, mitzuhalten.“

fussball.news: Wie beurteilen Sie die Macht der Spielerberater, die die Zukunft ihrer Klienten beeinflussen können?

Kastenmaier: „Ich hoffe, dass es mal darauf hinausläuft, dass Spieler ohne Berater ihre Verträge verlängern - so wie es der Joshua Kimmich beim FC Bayern gemacht hat. Weil es ist unsäglich, was da an Geld unnötig ausgegeben wird. Man kann sich nicht mehr mit anhören, was da an Honoraren verpulvert wird. Und vor allem hört man ja, dass manche Spieler nicht einmal mehr bei den Verhandlungen dabei sind. Dass dann Typen dafür mehrere Millionen Euro kriegen, nur für eine Unterschrift, das glaube ich, braucht im Fußball kein Mensch.“

fussball.news: Wie der Zufall das so will, treffen Ihre beiden Herzensvereine, Gladbach und Bayern, in der zweiten Runde des DFB-Pokals aufeinander. Die Favoritenrolle scheint klar verteilt zu sein. Was erwarten Sie für ein Duell?

Kastenmaier: „Gladbach hat daheim immer gut ausgesehen gegen die Bayern. Von daher glaube ich, dass die Borussia ein Angstgegner der Bayern ist. Fakt ist aber, wenn du am 27. Oktober gegen Bayern zuhause verlierst und in der Bundesliga nicht langsam mal ein paar Siege am Stück einfährst, dann ist Anfang November die Saison vielleicht fast schon gelaufen. Da kannst du nur noch gucken, dass du peu à peu da unten herauskommst. Dann war es das schon wieder mit den Highlights in dieser Saison.“

Tom Jacob  
21.09.2021