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Balkan-Wissenschaftler fordert: UEFA soll "Ausländerregeln" vereinheitlichen

Nordmazedoniens Eljif Elmas (SSC Neapel) im Duell mit Österreichs Konrad Laimer (RB Leipzig).
Nordmazedoniens Eljif Elmas (SSC Neapel) im Duell mit Österreichs Konrad Laimer (RB Leipzig). Foto: Imago

Man könnte meinen, dass "Ausländerregeln" im europäischen Fußball kaum mehr existieren, zumal der Kontinentalverband UEFA gerade während der EURO 2020 den Gemeinschafts- und Gleichheitsgedanken auf allen Ebenen extrem hervorhebt. Der Politikwissenschaftler Sebastian Schäffer widerspricht dieser Auffassung und erklärt, warum für die UEFA in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht und der deutsche Fußball als Vorbild dienen kann.

Die Wechsel-Fauxpas der Trainer Christoph Daum und Otto Rehhagel zählen zu den legendären deutschen Fußball-Anekdoten aus den 1990er-Jahren. So hatte sich der VfB Stuttgart mit Meistercoach Daum 1992 als erste deutsche Mannschaft für die Gruppenphase der Champions League qualifiziert, doch weil Daum die UEFA-Bestimmungen über die maximale Anzahl an einzusetzenden Ausländern (3) übersah, rückte am Ende Gegner Leeds United in die Königsklasse vor.

1998/99, bei Otto Rehhagel und dem 1. FC Kaiserslautern, ging es dann um den vierten zu viel eingewechselten Nicht-Europäer. Als Rehhagel den Regelbruch im Bundesligaspiel gegen den VfL Bochum bemerkt hatte, inszenierte der “Trainerfuchs“ ein bizarres Schauspiel. Der Ägypter Hany Ramzy täuschte eine Verletzung vor, um sich von Harry Koch ersetzen zu lassen. Die Pfälzer verloren die Partie gegen den VfL Bochum aber ohnehin mit 2:3, zu weiteren Verhandlungen am Grünen Tisch kam es deshalb nicht.

Rund 25 Jahre später könnte man nun zu dem Schluss kommen, "Ausländerregeln“ (Anmerkung: Ein formaler Ausdruck der UEFA lautet: "Zusätzliche Regeln zur Nationalität der Spieler") im europäischen Fußball existieren kaum mehr, zumal der Kontinentalverband UEFA gerade während der EURO 2020 den Gemeinschafts- und Gleichheitsgedanken auf allen Ebenen extrem hervorhebt. Der Politikwissenschaftler und Osteuropa-Experte Sebastian Schäffer widerspricht im Gespräch mit fussball.news dieser Auffassung und erklärt, warum für die UEFA in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht.

Bosman-Urteil revolutioniert den Fußball

„Grundlage dafür, dass Profi-Kader in der Europäischen Union heutzutage mit zahlreichen Spielern aus unterschiedlichen Nationen zusammengesetzt sind – man denke nur an Eintracht Frankfurt, das beim DFB-Pokalsieg 2018 Profis aus insgesamt 19 Nationen aufgeboten hatte - sind die gesetzlichen Bestimmungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit“, betont Schäffer und ergänzt: „Das heißt: Bürgerinnen und Bürger der EU sollen innerhalb des EU-Gebiets ohne Beschränkungen arbeiten können, wo sie wollen.“

Jedoch habe die praktische Umsetzung dieses Leitgedankens besonders im Fußball sehr lange gedauert, so Schäffer, der derzeit als Geschäftsführer beim Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Wien tätig ist. „Erst durch das persönliche Schicksal von Jean-Marc Bosman kam Bewegung in die Sache“, erklärt der Politologe und frühere Amateur-Schiedsrichter. Bosman geriet 1990 bei Vertragsverhandlungen in Streit mit seinem Klub RFC Lüttich, weshalb er einen Wechsel zum französischen Zweitligisten USL Dunkerque anstrebte. Doch der Deal platzte. Lüttich forderte eine zu hohe Ablösesumme für den Belgier. Bosman zog vor Gericht und erhielt 1995 vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in letzter Instanz Recht zugesprochen. „Spieler mit auslaufenden Verträgen durften fortan ohne Ablöse den Verein wechseln“, sagt Schäffer – und en passant wurde auch die strikte Ausländer-Beschränkung für Profi-Klubs innerhalb der Europäischen Union gekippt.

Mehr Vielfalt bei den Profi-Klubs

Die UEFA und die Profi-Vereine begannen, sich an die gesetzlichen EU-Vorgaben anzupassen – und so feuerte man als Fan beispielsweise in der Bundesliga schon bald nicht mehr rund 20 deutsche und zwei bis drei ausländische Spieler an (zum Bayern-Kader 1990/91), sondern es stießen immer mehr Profis aus unterschiedlichen Nationen zum jeweiligen Verein hinzu. Viele Klubs wurden dadurch international geprägt und konnten auch überregional deutlich mehr Fans für sich gewinnen. „Der europäische Kerngedanke, über Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten und sich besser miteinander zu verstehen, entwickelte sich insbesondere auf Vereinsebene immer mehr zur Realität“, beschreibt Schäffer den Fortgang im europäischen Fußball.

Auf der anderen Seite wurden die Regeln für ausländische Spieler dennoch immer komplexer, denn immer mehr Staaten traten der Europäischen Union bei, während die jeweiligen nationalen Fußball-Verbände versuchten, die eigenen Talente vor den vermeintlich billigen Arbeitskräften aus dem Ausland zu schützen.

DFB und DFL gehen voran

„Als einer der ersten Verbände wagte dann der deutsche Fußball – federführend der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die Deutsche Fußball Liga (DFL) - ab der Saison 2006/07 einen großen Schritt“, lobt Schäffer: „Nicht nur Spieler aus Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, sondern von allen Mitgliedsländern der UEFA können seitdem ohne Beschränkung in der Bundesliga spielen.“ Auch Begrenzungen für Profis, die nicht aus Europa stammen, sind obsolet. Die zwei Mindestanforderungen an die deutschen Profi-Klubs lauten nur noch:

Bei jedem Verein der Bundesliga und 2. Liga müssen zwölf deutsche Lizenzspieler unter Vertrag stehen. Hinzu kommt noch die von der UEFA für ihre europäischen Klubwettbewerbe eingeführte Local-Player-Regelung, die in Deutschland freiwillig umgesetzt wird. Die Regelung besagt, dass pro Verein mindestens acht von einem deutschen Klub oder Verband ausgebildete Spieler unter Vertrag stehen müssen. Als Zeitraum der Ausbildung sind mindestens drei Jahre im Alter zwischen 15 und 21 Jahren vorgegeben. Während sich der deutsche Fußball demnach offen und pragmatisch zeigt und allen Fußballern der Welt formal eine faire Chance bietet, sich im deutschen Profi-Fußball durchzusetzen, herrschen in vielen anderen Verbänden noch zahlreiche Begrenzungen vor.

UEFA-Bericht zeigt unterschiedliche Regelungen auf

„Diese deutlichen Unterschiede legte die UEFA selbst in einem Bericht aus dem Jahr 2015 offen“, verweist Schäffer auf ein offizielles Dokument des Kontinentalverbands. Viele nationale Ligen setzten und setzen beispielsweise weiterhin auf eine „Nicht-EU-Ausländer-Regel“. Selbst in der französischen Ligue 1 und der italienischen Serie A lautete 2015 die Vorgabe, dass nur vier „Nicht-EU-Ausländer“ eingesetzt werden können. Sogar Ungarn zeigte sich etwas großzügiger mit bis zu fünf Nicht-EU-Ausländern pro Klub.  

In Österreich setzt man dagegen auf den „Österreicher-Topf“. Der Mechanismus dabei: Die österreichischen Klubs erhalten finanzielle Zuschüsse, je mehr sie heimische Talente einsetzen. Die Logik ist offensichtlich: Werden mehr heimische Talente gefördert, wird auch die österreichische Nationalmannschaft gestärkt. Doch blickt man auf das aktuell erfolgreiche ÖFB-Team (Achtelfinale bei der Europameisterschaft), hat der „Österreicher-Topf“ wohl eher wenig Nachhaltiges bewirkt. Der ÖFB-Kader ist insbesondere mit Spielern besetzt, die im Ausland oder von Klubs des Red-Bull-Konzerns gefördert wurden.

„Zahlreiche europäische Ligen versuchen mit Fördergeldern und Quoten den heimischen Fußball-Arbeitsmarkt vor ausländischer Konkurrenz zu schützen, auch wenn der nachweisbare Effekt für diese Maßnahmen meist ausbleibt“, fasst Schäffer seine Kritikpunkte zusammen. Dass damit zum Teil das Prinzip des Leistungssport – die besten Spieler sollen sich durchsetzen – ausgehebelt wird, nehmen viele Verbände offenbar in Kauf.

Der Fall Suarez

Zur komplexen Thematik hinzu kommt noch ein zweiter Aspekt. So können zum Beispiel aus Südamerika stammende Profis über Länder wie Spanien, Italien oder Portugal relativ leicht und legal eine zweite Staatsbürgerschaft beantragen, um damit bei der UEFA als EU-Bürger zu gelten. Zu welchen sehr detailreichen Einbürgerungs-Überlegungen von Spielern es beispielsweise 2020 bei Real Madrid gekommen war, fasste das Portal transfermarkt.de in einem Bericht zusammen.

Zuletzt sorgte allerdings der Fall von Topstar Luis Suarez für Aufsehen. Der Stürmer aus Uruguay wurde beim FC Barcelona im Sommer 2020 aussortiert und stand vor einem Wechsel nach Italien. Suarez sollte aber bei Juventus Turin das Kontingent an "Nicht-EU-Ausländern" nicht belasten, weshalb er zusätzlich nach der italienischen Staatsbürgerschaft strebte. Letztendlich blieb Suarez doch in Spanien und wechselte zu Atletico Madrid. Sein umstrittenes Vorgehen bei der Pass-Beantragung hat jedoch offenbar ein juristisches Nachspiel in Italien.

Strukturelle Benachteiligung?

Was bei der Thematik "Ausländerregel" im europäischen Fußball-Kosmos somit oftmals unter den Tisch fällt, ist die Tatsache, dass zahlreiche Fußballer in Europa, besonders wenn sie nicht aus der EU stammen, bei der Wahl ihres Arbeitsplatzes strukturell benachteiligt werden. „Das gilt vor allem für Spieler aus kleineren südosteuropäischen Ländern wie Nordmazedonien, Serbien oder Bosnien-Herzegowina. Sie haben zu vielen europäischen Topligen einen erschwerten Zugang, vor allem weil noch oft zwischen EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern unterschieden wird“, sagt Südosteuropa-Kenner Schäffer, der sich zuletzt in seinem Buch „Balkan nach Europa – sofort“  (Publisher: story.one) um eine mögliche Spaltung Europas Sorgen macht und deshalb für ein engeres Zusammenwirken aller europäischen Länder eintritt.

Schäffer sieht im Fußball eine mögliche Vorreiterrolle. So fordert Schäffer die UEFA auf, „die sehr unterschiedlich gehaltenen Ausländerregeln in ihren 55 Mitgliedsverbänden im Optimalfall zu vereinheitlichen. Der deutsche Fußball kann hier als großes Vorbild dienen. Er hat nicht mehr eine nationale, sondern bereits eine paneuropäische Perspektive eingenommen.“ Schäffer ergänzt: „Das ist doch auch das große Ziel, das sich die UEFA gesteckt hat: Chancengleichheit und Fairness im europäischen Fußball herzustellen und die Menschen und Fußballer in Europa noch mehr zu vereinen.“

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f.news  
09.07.2021