75. Geburtstag von Beckenbauer
Statt Stuttgarts Meistertrainer: So kurios wurde Beckenbauer Bundestrainer!
Franz Beckenbauer ist als Spieler (1974) und Trainer (1990) mit Deutschland Weltmeister geworden. Mit dem FC Bayern hat er alle Titel abgeräumt, unter anderem gewann er als Profi drei Mal den Pokal der Landesmeister (1974 – 1976). Am Freitag feiert Beckenbauer seinen 75. Geburtstag. fussball.news-Chefredakteur Daniel Michel hat sich in seinem neuesten Buch mit legendären Anekdoten über den gebürtigen Münchner beschäftigt.
Exklusive Auszüge aus „Franz Beckenbauer: Kleine Anekdoten aus dem Leben einer großen Fußballikone“ veröffentlicht fussball.news nun mit freundlicher Genehmigung des riva-Verlags. Auch finden von Mittwoch bis Freitag Verlosungen dazu auf den Social-Media-Kanälen von fussball.news statt. Die heutige Anekdote erzählt davon, unter welchen glücklichen Umständen Franz Beckenbauer nach seiner Zeit als Profi (FC Bayern, Cosmos New York, Hamburger SV) Teamchef der deutschen Nationalmannschaft wurde.
Fiasko bei der EM 1984
„Historisch betrachtet wirkt es nachvollziehbar: Franz Beckenbauer war einer der besten Fußballer der Welt. Folgerichtig wurde er später einer der besten Trainer der Welt und triumphierte mit Deutschland bei der Weltmeisterschaft 1990. Doch zahlreiche Anekdoten um den »Kaiser« wirken kurios – auch jene, wie er 1984 überhaupt zum Trainer der deutschen Nationalmannschaft befördert wurde.
Die Vorgeschichte: Zu Beginn der 1980er-Jahre stand das DFB-Team für seinen einfallslos wirkenden, aber effizienten Fußball oftmals in der Kritik. Trainer Jupp Derwall führte die Nationalmannschaft 1980 zum Gewinn der Europameisterschaft und 1982 zur Vize-Weltmeisterschaft. Doch bei der Europameisterschaft 1984 brach das fragile System zusammen. Das DFB-Team schied bereits nach der Vorrunde aus. Es war eine große Blamage für den deutschen Fußball. Die Rücktrittsforderungen Richtung Derwall wurden in der Öffentlichkeit immer lauter, während der Coach selbst sich zunächst mit einem offiziellen Statement zurückhielt.
Franz Beckenbauer war unterdessen als Kolumnist für die Bild-Zeitung tätig. Der Legende nach haben die Journalistenkollegen die Initiative ergriffen, um den »Kaiser« ins Amt des Bundestrainers zu hieven. So soll Beckenbauer bei einer internen Diskussion letztendlich gesagt haben, er könne sich eine Funktion als Technischer Berater beim DFB vorstellen, um den deutschen Fußball wieder auf Vordermann zu bringen. Die Bild-Zeitung titelte dann aber: »Franz: ›Ich bin bereit.‹« Die Angelegenheit kam ins Rollen, auch wenn es noch kompliziert wurde. Jupp Derwall gab kurz nach der EM doch seinen Rücktritt bekannt. Dabei ließ er verlauten, dass er sich schon vor dem Turnier, im Einvernehmen mit DFB-Präsident Hermann Neuberger, Gedanken über seinen möglichen Nachfolger gemacht habe.
Benthaus holte Meistertitel mit VfB Stuttgart
Den Zuschlag sollte Helmut Benthaus erhalten. Der gebürtige Westfale führte die junge Mannschaft des VfB Stuttgart 1984 überraschend zur deutschen Meisterschaft. »Der DFB hatte mich auf dem Zettel«, bestätigte Benthaus im Jahr 2010 im Gespräch mit dem Magazin 11Freunde den Sachverhalt. »Aber ich hatte noch einen Vertrag, den wollte ich von mir aus nicht auflösen.« Immerhin hatte Benthaus in Stuttgart einen sehr guten Namen und auch viele Freunde. »Und der VfB machte von sich aus auch nicht den ersten Schritt«, erinnert sich Benthaus. Medienberichten zufolge wollte der DFB für Benthaus auch keine Ablöse an den VfB Stuttgart zahlen. So hatte sich der DFB zunächst auf folgende Kompromisslösung mit allen Parteien verständigt: Beckenbauer sollte das DFB-Team bis Sommer 1985 coachen, dann könne Benthaus, wenn er denn wolle, dem »Kaiser« nachfolgen. Das kicker-Sportmagazin bezeichnete Beckenbauer zunächst als »Chef auf Zeit«.
Keine Trainerlizenz
Blieb aber noch ein weiteres Problem für Beckenbauer: Er besaß keine Trainerlizenz! Formal durfte er das DFB-Team gar nicht trainieren. Zahlreiche Trainerkollegen liefen deshalb Sturm gegen den neuen Bundestrainer. Beckenbauer reagierte und erwiderte seinen Kritikern: Er habe schon alles als Spieler erlebt, eine Lizenz sei daher nicht zwingend nötig. Zumal er ja nur dem deutschen Fußball zeitlich begrenzt helfen wolle und für Benthaus später den Platz freiräume. Der DFB wiederum ließ sich auch zu diesem Thema eine besondere Lösung einfallen. Beckenbauer wurde nicht als »Bundestrainer« deklariert, sondern als »Teamchef«. Co-Trainer Horst Köppel und ab 1987 Holger Osieck wurden mit ihrer jeweiligen amtlichen Lizenz als Coaches vorgeschoben.
Erfolge von Beckenbauer
Während Beckenbauer seine Rolle als Teamchef mit viel Leidenschaft und Professionalität ausfüllte, erfuhr Helmut Benthaus zahlreiche Rück-schläge mit dem VfB Stuttgart. Die Schwaben schieden in der Saison 1984/85 bereits in der ersten Runde des Landesmeistercups aus. Auch im DFB-Pokal war früh Schluss und in der Bundesliga hinkte Stuttgart den Topklubs deutlich hinterher. Irgendwann wurde der Plan dann verworfen »und Franz Beckenbauer hat den Job übernommen«, stellte Benthaus gegenüber 11Freunde fest. Benthaus verzichtete im Laufe der Saison endgültig auf den Job beim DFB. Mit dem VfB Stuttgart schloss er die Spielzeit 1984/85 als Tabellen-Zehnter ab und ging zurück in die Schweiz zu seinem Stammverein FC Basel. Beckenbauer stieg fortan zur »Lichtgestalt« des deutschen Fußballs auf. Er übernahm das DFB-Team am gefühlten Abgrund. Er führte Deutschland zur Vize-Weltmeisterschaft 1986, ins Halbfinale der Heim-Europameisterschaft 1988 und, als Krönung, zum WM-Titel 1990. Die offizielle Trainerlizenz erhielt er vom DFB geschenkt.
Auszug aus dem Buch: „Franz Beckenbauer: Kleine Anekdoten aus dem Leben einer großen Fußballikone“; Verlag: riva; Seiten: 96; Preis: 7,99 Euro