In Auszeit unbestimmter Länge

Kommentar: Mediale Inszenierung schadet Schiedsrichter Zwayer

Zwayer befindet sich in einer selbstgewählten Auszeit. Foto: Getty Images
Zwayer befindet sich in einer selbstgewählten Auszeit. Foto: Getty Images

Felix Zwayer macht in einer TV-Sendung eine Morddrohung gegen seine Person bekannt. Der Berliner Schiedsrichter erklärt bewegt, welche Folgen seine Spielleitung im Bundesliga-Kracher zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern für ihn und seine Familie hat. Art und Weise werfen aber mehr Fragen auf, als Zwayer beantwortet.

Ein Kommentar von fussball.news-Redakteur Lars Pollmann

Sollte es zu einer Morddrohung gegen Zwayer gekommen sein, ist dies selbstredend unerträglich und entschieden zu verurteilen. Auch andere Formen der Anfeindung, oftmals unter dem Deckmantel der Anonymität des Internets, sind nur schwer hinzunehmen. Dass der 40-Jährige persönlich sehr angefasst ist, ist da nur zu verständlich. Allerdings leidet die Glaubwürdigkeit von Zwayer dadurch, dass er seit seiner so kontrovers diskutierten Spielleitung in Dortmund immer wieder selbst die Öffentlichkeit sucht. Und das auch noch über die Bild-Zeitung und den TV-Sender Sky.

Öffentlichkeit via Bild und Sky

Dass die Springer-Presse nicht für die feinste journalistische Feder bekannt ist, gehört zum Markenkern von Bild. Das Format 'Meine Geschichte', in dem sich Zwayer nun während seiner Auszeit unbestimmter Länge öffnet, rühmt sich derweil damit, "Sportstars privat" kennenzulernen. Dass ein Schiedsrichter qua Ehrenamt kein Sportstar sein sollte, sei dahingestellt. Die Sendung ist jedenfalls nicht für ihre effektvollen Enthüllungen bekannt. Erst kürzlich ließ Moderator Riccardo Basile Jens Lehmann vor laufenden Kameras bei Angela Merkel anrufen, die just am Drehtag ihren letzten Tag im Amt nach 16 Jahren Kanzlerschaft beging. Natürlich ging die CDU-Politikerin nicht ran, was wohl niemandem lieber war als Lehmann selbst. 

Die perfekte Inszenierung

Zur Inszenierung der Sendung, in der sich Zwayer nun geäußert hat, gehört derweil, die Persönlichkeiten des Sports in vermeintlich intimer Atmosphäre zu zeigen. Basile und Lehmann standen beispielsweise während ihres Interviews die längste Zeit in der Küche des ehemaligen Nationaltorwarts herum. Im Falle Zwayer sitzen er und Basile auf der Couch eines aufgeräumten Wohnzimmers, auf der Rückenlehne sind Kuscheltiere platziert, bei anderem Bildausschnitt werden eine Reihe Kinderbücher in Szene gesetzt. Kein Wunder, dass die Familie von Zwayer so auch zur Sprache kommt, der Schiedsrichter von emotionalen Szenen und einem Tränenausbruch seiner Frau berichtet. Dass die Öffentlichkeit davon bereits am Dienstag weiß, hängt damit zusammen, dass Sky die entsprechenden Ausschnitte vorab veröffentlicht hat. Die Sendung wird eigentlich erst am Freitagabend ausgestrahlt, mit der Vorabveröffentlichung beispielsweise der Morddrohung will der Bezahlsender offensichtlich Aufmerksamkeit erzeugen. Zwayer ist das nicht anzulasten, dennoch bleibt ein Geschmäckle, dass er sich dieser Art der Öffentlichkeit überhaupt hergibt.

Entscheidung über Fortsetzung der Laufbahn

Regelrecht unangenehm scheint dabei, dass Sky sozusagen als Cliffhanger mitteilt, dass Zwayer eine Entscheidung über die Fortsetzung seiner Karriere im Rahmen der Sendung am Freitag verkünden wird. Sportfans mögen sich an Antoine Griezmann oder LeBron James erinnert fühlen, deren Entscheidungen über mögliche Vereinswechsel in LaLiga und der Basketballliga NBA einst zu Medienevents aufgebauscht wurden. Sollte Zwayer in der Sendung tatsächlich eine Entscheidung gefallen haben, hätte er sie seither für maximalen medialen Effekt unter Verschluss gehalten. Da stellt sich die Frage nach dem Selbstverständnis eines Schiedsrichters, der sich anscheinend in der Hauptrolle wähnt.

Im Widerspruch zur DFB-Aktenlage

Problematisch ist das Interview von Zwayer derweil aber auch auf einer nüchternen, inhaltlichen Ebene. "Mir wurde niemals Geld angeboten", behauptet der Berliner etwa. "Mir wurde niemals offenkundig von einer beabsichtigten oder durchgeführten Spielmanipulation berichtet." Die Akten des DFB sprechen eine andere Sprache. In den erst 2014, also neun Jahre nach dem Hoyzer-Skandal an die Öffentlichkeit gelangten Unterlagen steht schwarz auf weiß, dass Hoyzer Zwayer 300 Euro übergeben hat, um "als Schiedsrichter-Assistent kritische Situationen für den Wuppertaler SV zu vermeiden". Es fanden sich für den DFB keine Beweise einer tatsächlichen Manipulation, doch Zwayer bestreitet schon den Umstand, dass ihn Hoyzer mit Geld gelockt habe. Diese Linie vertritt der Unparteiische dabei seit Jahren, ließ 2006 über einen Anwalt feststellen, dass er die Passage im DFB-Urteil nur akzeptiere, weil er keine Chance sehe, die entsprechende Aussage von Hoyzer juristisch zu widerlegen.

Patronage durch den DFB

Zudem leuchtet nicht ein, dass Zwayer von den Manipulationen seines Kollegen so wenig gewusst haben soll. Schließlich ging bei seiner Verurteilung durch den DFB-Einzelrichter in erheblichem Maße strafmildernd ein, dass er eine entscheidende Rolle an der Aufarbeitung des Skandals im deutschen Schiedsrichterwesen gespielt habe. Wie Zwayer als Aufklärer fungiert haben soll, wenn es mit seinen Kenntnissen gar nicht so weit her war, erschließt sich nicht. Zumal der Referee im direkten Nachgang des Bundesliga-Krachers noch wissen ließ, sein Fehler habe in erster Linie darin gelegen, mit dem Anzeigen eines "Vorfalls" zu lange gewartet zu haben. Es stellt sich unter anderem die Frage, warum Zwayer nicht viel entschiedener gegen das Urteil des DFB vorgegangen ist, wenn es doch seiner heutigen Ansicht nach inhaltlich nicht zwingend begründet war. Immerhin hätte es eine verheißungsvolle Schiedsrichter-Karriere beenden können, hätte Zwayer nicht seitens des Verbands Patronage erfahren. Schließlich hielt der DFB das Urteil jahrelang unter Verschluss und erlaubte Zwayer so den Aufstieg in Bundesliga und internationale Wettbewerbe. Neben der wenigstens fragwürdigen Inszenierung bleiben so Zweifel an der inhaltlichen Aufrichtigkeit von Zwayer übrig, die ohne sein effektvolles Interview aktuell kein Gegenstand akuten öffentlichen Interesses gewesen wäre.

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Lars Pollmann  
18.01.2022