Topstar in Ungnade gefallen

Affront gegen ManUnited: Ist Ronaldo wirklich das "schwarze Schaf"?

Ronaldos Kapitel bei Manchester United scheint auf unliebsame Art zu enden. Foto: OLI SCARFF/AFP via Getty Images
Ronaldos Kapitel bei Manchester United scheint auf unliebsame Art zu enden. Foto: OLI SCARFF/AFP via Getty Images

Cristiano Ronaldo manövriert sich bei Manchester United mit einem kontroversen Interview ins Aus. Der Portugiese schießt öffentlich gegen Trainer Erik ten Hag und die Klub-Verantwortlichen. Der fünffache Weltfußballer erachtet sich selbst zu Unrecht als „schwarzes Schaf“ behandelt. Hat er recht?

Sonntag, circa 19:20 Uhr: Der erst 18-jährige Alejandro Garnacho stürmt an der Craven Cottage in den Strafraum und schiebt den Ball an Bernd Leno vorbei ins Tor. Manchester United erzielt in der 93. Minute den 2:1-Siegtreffer gegen den FC Fulham. Die Red Devils schließen ihr letztes Premier-League-Spiel vor der durch die Weltmeisterschaft in Katar bedingten Pause mit einem Erfolgserlebnis ab. Angesichts des fünften Tabellenplatzes und der Aussicht auf die oberen Ränge herrscht Erleichterung beim englischen Rekordmeister. Die Stimmung dürfte in der Kabine entsprechend ausgelassen sein. Bereits unmittelbar nach Spielende soll sich der United-Trupp auf den Heimweg von London nach Manchester begeben.

Ronaldo zielt vor allem auf ten Hag ab

Auf der Heimreise ereignen sich allerdings ungeahnte Turbulenzen. Verursacht durch den größten Star des Teams, der bei Fulham aufgrund einer „Krankheit“ nicht einmal mitwirkte: Cristiano Ronaldo. Die britische Boulevardzeitung The Sun hat Zugang zu exklusiven Interview-Aussagen erhalten und diese soeben veröffentlicht. Der Star-Reporter Piers Morgan, der sich in Großbritannien mitunter als Kritiker von Herzogin Meghan einen Namen gemacht hat, aber auch schon gegen den ehemals bei Arsenal spielenden Mesut Özil schoss, ließ dem Blatt bereits Tage vor der Ausstrahlung eines TV-Gesprächs hochbrisante Stimmen von Ronaldo zukommen. Manchester Uniteds Coach Erik ten Hag dürfte beim Lesen nur einen großen Kloß im Hals spüren. Zu Beginn ist Ronaldos Rundumschlag nämlich vor allem gegen ihn gerichtet.

„Ich habe keinen Respekt vor ihm, weil er keinen Respekt vor mir hat. Wenn man keinen Respekt vor mir hat, werde ich keinen Respekt vor demjenigen haben“, gibt Ronaldo im besagten Interview von sich. Der Portugiese fühlt sich vom Niederländer nicht genügend wertgeschätzt. Dabei waren die Probleme zwischen dem Angreifer und dem Übungsleiter bereits programmiert. Nachdem festgestanden war, dass ten Hag das Traineramt bei Manchester United übernimmt, begannen Spekulationen um ein im Umbruch befindliches Manchester United ohne Ronaldo. „Cristiano Ronaldo steht nicht zum Verkauf, er ist in unseren Plänen“, stellte ten Hag im Juli entgegen der Spekulationen klar: „Ich habe mit ihm gesprochen, bevor dieses Thema aufkam. Ich hatte ein gutes Gespräch mit ihm. Er hat mir nicht gesagt, dass er gehen will.“ Nur wenige Wochen darauf kritisierte der 52-Jährige überraschenderweise den Fitnessstand von Ronaldo: „Er ist ein fantastischer Fußballspieler. Das hat er schon oft bewiesen, aber du wirst immer daran gemessen, was du gerade zeigst und leistest.“

Ronaldos Fehlen bei der Marketing-Tour setzte Startschuss

Ronaldo nicht fit genug? Über Jahre hinweg galt der fünfmalige Weltfußballer als absoluter Vorzeigeprofi, jedoch haben ten Hags Aussagen einen Hintergrund: Ronaldo verpasste die Saisonvorbereitung des Teams in Thailand und Australien und verlor damit wichtige Trainingszeit. Der 37-Jährige begründete dies offiziellen Angaben zufolge mit „familiären Gründen“, wobei auch diskutiert wurde, ob er nicht einen Abgang erzwingen wolle. Im April hatte der Profi gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Georgina Rodriguez bei der Geburt von geplanten Zwillingen eines der beiden Kinder verloren. Für Ronaldo ein schwerer Schicksalsschlag. Es seien „wahrscheinlich die schlimmsten Momente“ gewesen, „die ich in meinem Leben erlebt habe, seit mein Vater gestorben ist“, so der Offensivmann. Obendrein erkrankte Monate später das neugeborene Baby. „Ich habe mit dem Direktor und dem Präsidenten von Manchester United gesprochen, und sie haben nicht geglaubt, dass etwas nicht stimmt“, berichtet Ronaldo nun bei Morgan: „Das hat mir ein schlechtes Gefühl gegeben.“ Ob auch ten Hag an Ronaldos Version für die Absage der geplanten Vorbereitungstour gezweifelt hat? Möglich. Nicht nur sportlich dürfte die Abstinenz von ‚CR7‘ die Verantwortlichen verärgert haben. Sondern vor allem aus Gründen der Vermarktung. Mit knapp 500 Millionen Follower auf Instagram ist Ronaldo die meistgefolgte Person der Welt. Ein Fehlen auf einer Marketing-Tour zieht einen finanziellen Schaden nach sich – weil Klubs in der Regel im Vorfeld Verträge unterschreiben, die gewisse Verpflichtungen wie das Einsetzen von bestimmten Spielern umfassen. Mit einem ähnlichen Szenario musste sich schließlich zuvor schon Ronaldos Ex-Klub Juventus herumschlagen. Weil der Torjäger 2019 bei einem Vorbereitungsspiel in Südkorea nur auf der Ersatzbank blieb und nicht spielte, klagten gleich mehrere Tausende auf Schadensersatz.

Nicht zuletzt aufgrund dieses Vorfalls könnten einige Verantwortliche bei Manchester United nun Unmut verspürt haben. Ronaldo wiederum, so betont er nun, fühlt sich von jenen Personen, die im Verein etwas zu sagen haben, „betrogen“ und wie das „schwarze Schaf“ dargestellt, dem die Schuld an allem zuteilwird, was im Klub schief läuft. Dazu passt auch Ronaldos Verärgerung im brandaktuellen Interview, in dem er unter anderem mit der Glazer-Familie, den Besitzern Manchester Uniteds, abrechnet: „Sie kümmern sich nicht um den Verein, und ich meine den Profisport. Manchester United ist ein Marketing-Klub. Sie verdienen ihr Geld mit Marketing. Sie kümmern sich wirklich überhaupt nicht um den Sport.“ Kritik, die nicht neu ist. Dass „Manchester United ein kommerzieller Verein“ wäre, sagte Ex-United-Trainer Louis van Gaal erst im März.

Ronaldo vermisst Ziehvater Ferguson

Während die aktuellen Verantwortlichen Ronaldo ein Fernbleiben während der Saisonvorbereitung aus „familiären Gründen“ scheinbar nicht glaubten, sah dies unter seinem Ex-Trainer und Mentor Sir Alex Ferguson noch ganz anders aus. 2021 blickte Ronaldo im Zuge seiner Rückkehr nach Manchester an einen ganz besonderen Moment mit Ferguson zurück: „Ich erinnere mich an einen Tag, an dem mein Vater im Krankenhaus lag, und ich war so emotional, so niedergeschlagen. Ich habe mit ihm gesprochen und er sagte: ‚Cristiano, das macht nichts, geh für zwei oder drei Tage dorthin.‘“ Der Schotte sagte: „Manche Dinge sind wichtiger als der Verein. Die Familie gehört definitiv dazu. Ohne Frage: Man sollte niemals einen Verein über seine Familie stellen.“

Ferguson, der nach dem Tod von Ronaldos Vater im Jahr 2005 wie ein Ersatzvater auf diesen wirkte, war sogar der Grund, weshalb Ronaldo Manchester City im Sommer 2021 trotz intensiven Werbens einen Korb gab. "Mein Herz, meine Geschichte bei ManUnited, Sir Alex Ferguson, hat den Unterschied gemacht", erklärt er seine Absage an den Verein von Coach Pep Guardiola. Jene Herzlichkeit vermisst Ronaldo, der als großer Familienmensch gilt, nach dem Ferguson-Rücktritt bei den aktuellen Verantwortlichen der Red Devils. Deshalb bemängelt er: „Ich weiß nicht, was los ist, aber seit Sir Alex Ferguson gegangen ist, habe ich keine Entwicklung im Verein gesehen, der Fortschritt war gleich null.“ Und meint zudem: "Als ich zu United zurückgekehrt bin, dachte ich, dass sich etwas verändert hätte. Schließlich verbrachte ich neun Jahre bei Real Madrid und spielte anschließend für Juventus. Aber ich wurde auf das Schlimmste überrascht. (...) Manchester United steht hinter Klubs wie diesen." Auch Zlatan Ibrahimovic schreibt in seiner Biografie ‚Adrenalin’ Ähnliches. Laut dem ehemaligen Stürmer der Red Devils „denkt jeder, Manchester United ist ein Top-Klub, einer der reichsten und stärksten (…). Aber als ich dort war, fand ich eine niedrige, geschlossene Mentalität vor.“ Ebenso sprach Jose Mourinho infolge seiner Entlassung davon, dass Probleme weiterhin präsent sein würden. Laut Ronaldo müssten die Fans „die Wahrheit erfahren“, denn „sie müssen wissen, dass die Spieler das Beste für den Verein wollen. Das will ich auch. Deshalb bin ich zurückgekommen, deshalb mag ich diesen Klub“.

Ten Hag setzt Ronaldo Rolle als Nebendarsteller aus

Nur unter ten Hag ist dies Ronaldo nicht möglich. Für den Portugiesen stellt sich seit der Ankunft des Niederländers die völlig neue Situation dar, dass er nicht mehr die Rolle des unangefochtenen Stammspielers innehat. Von seinen insgesamt 16 Pflichtspieleinsätzen in dieser Saison stand er nur zehnmal in der Startelf, allein sechsmal davon in der für ihn eher ungeliebten Europa League, er ist schließlich Rekordspieler- und -torschütze der Champions League. Zweimal ließ ten Hag ihn in dieser Saison sogar gänzlich auf der Ersatzbank schmorren. Das erste Mal ausgerechnet im prestigeträchtigen Manchester-Derby, wobei United 3:6 gegen City verlor. Ten Hag brachte im Anschluss die kuriose Begründung, er habe Ronaldo „aus Respekt vor seiner großen Karriere“ nicht eingesetzt. Schon damals, Anfang Oktober, befand Sky-Experte und Ex-Ronaldo-Mitspieler Roy Keane: „Ich glaube, dass ManUnited Ronaldo gegenüber respektlos ist. Ich denke, man hätte ihn vor Transferschluss ziehen lassen sollen. Okay, du bist der Trainer, du brauchst Optionen, aber du hältst nicht an Ronaldo fest, um ihn auf die Bank zu setzen. Er ist einer der größten Spieler aller Zeiten. Wenn er Woche für Woche auf der Bank sitzt, wird es nur noch hässlicher.“

Den vorläufigen Tiefpunkt erreichte die ohnehin schon prekäre Lage 17 Tage später. Weil ten Hag Ronaldo abermals auf die Ersatzbank verwies, verweigerte Letzterer beim 2:0 gegen die Tottenham Hotspur aus Frustration seine Einwechslung. Ronaldos Reaktion sprach Bände: Er zischte vorzeitig, noch vor Abpfiff, in den Spielertunnel ab und verließ unmittelbar darauf das Old Trafford. Anschließend suspendierte ten Hag Ronaldo für das darauffolgende Spiel gegen Chelsea (1:1). Obendrein soll Ronaldo eine Geldstrafe in Höhe von rund einer Million Euro erhalten haben. Fortan war klar: Das Verhältnis zwischen Spieler und Trainer ist nicht mehr zu kitten.

Ronaldo richtet sich mit Interview an die Fans

Und so wirkt es nicht verwunderlich, dass Ronaldo nun den Schritt an die Öffentlichkeit gewählt hat. „Ich denke, es ist an der Zeit, etwas zu sagen“, begründet Ronaldo seine Entscheidung. Ihm liegt am Herzen: „Die Fans sind immer auf meiner Seite. Ich habe das Gefühl, dass jedes Mal, wenn ich auf die Straße gehe, die Fans zu mir kommen und zu schätzen wissen, was ich tue - was ich für den Fußball tue, und für mich ist das das Wichtigste im Fußball. Die Fans sind für mich alles.“ Nach dem Interview gehen die Stimmen jedoch auseinander. Nicht umsonst werden die Aussagen als kontrovers gebrandmarkt, schließlich schlägt Ronaldo damit dieser Tage hohe Wellen. Allein nach der Publikation der ersten Aussagen dominierte der Hashtag Ronaldo auf Twitter weltweit zwischenzeitlich auf Platz eins. Manche mögen Ronaldo nun für noch eingebildeter und egoistischer halten, prominente Ex-United-Protagonisten wie van Gaal, Ibrahimovic und Mourinho würden ihm wohl nur beipflichten.

Die Liaison scheint ein unliebsames Ende zu nehmen

Weil das Gespräch mit Morgan im Vorfeld nicht mit Manchester United abgesprochen gewesen sein soll, drohen Ronaldo erneut weitreichende Konsequenzen. Aber womöglich will er das damit auch erreichen. Ronaldo ist ein Stratege, der durch sein Team um den mächtigen Agenten Jorge Mendes professionell beraten wird: Er hat genug von ten Hag, von Manchester United. Er will weg. Er möchte gehen, wobei er schon im Sommer den Klub verlassen wollte – bei diesem Anliegen blieb er erfolglos, vor allem, weil viele Topklubs wie Bayern München kein Interesse an einem Kauf besaßen. Ein unzufriedener Superstar, der noch dazu beim neuen Trainer kein Vertrauen spürt: Die Geschehnisse dieser Hinrunde waren wohl ein Debakel mit Ansage. Wenngleich Ronaldo seit seiner Rückkehr Anteil an den Problemen von Manchester United trägt, ist er aber nicht das „schwarze Schaf“ und der Alleinschuldige für die Komplikationen des Traditionsklubs. Nur muss es sich scheinbar erst einmal jemand zutrauen, diese Probleme öffentlich anzusprechen. Ronaldo reiht sich damit in einer prominenten Liste mit Vorgängern wie van Gaal, Ibrahimovic und Mourinho ein. Eine Trennung dürfte für beide Seiten nun sinnvoll sein - und zwar schon im Januar, ein halbes Jahr bevor der Vertrag ohnehin auslaufen würde. Nur zu welchem neuen Klub es für Ronaldo geht, steht noch in den Sternen. Womöglich wird 'CR7' die WM mit Portugal nutzen, um sich in Topform für einen großen Transfer im Winter zu empfehlen.

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Adrian Kühnel  
17.11.2022