Keine Titelfeier in München?

Zerbricht das "rote Imperium"?

Uli Hoeneß setzte in Oliver Kahn (r.) als Klubchef große Hoffnung. Bild: Getty
Uli Hoeneß setzte in Oliver Kahn (r.) als Klubchef große Hoffnung. Bild: Getty

Ist es eine sportliche Katastrophe, wenn der FC Bayern nach zehn Jahren die Bundesligasaison mal nicht als Erster abschließt? Es kommt auf die Art und Weise des Verlierens an - und gerade deshalb muss der FC-Bayern-Kosmos sich nun in Acht nehmen. Es sind Zerfallserscheinungen beim "roten Imperium" zu beobachten, ganz gleich, ob es am kommenden Wochenende doch noch Borussia Dortmund von Platz eins abfängt. Wirkt der Klub nicht schnell und entschlossen entgegen, droht eine lange Titel-Durststrecke.

Der FC Bayern hat in dieser Saison bereits in 13 Bundesligapartien Punkte liegen gelassen. Darüber hinaus hat der deutsche Rekordmeister in der Außendarstellung unglaublich viele Fauxpas begangen. Gefühlt lassen sich 365 Probleme des Klubs aufzählen, es wirkt an allen Ecken und Enden nicht stimmig, was die Bayern in dieser Saison abliefern. Wie Ben Redelings auf ntv.de analysiert, handelt es sich nicht um irgendeine verpatzte Saison, wo mal die Startruppe einen Durchhänger aufweist, der Trainer mal nicht zur Mannschaft passt oder die Klubführung sich streitet. Nein, das Versagen ist auf allen Ebenen zu beobachten. Das macht es für das "rote Imperium" so bedrohlich!

Manchester United wartet seit zehn Jahren auf Meistertitel

Denn es ist in der Fußballhistorie kein untypisches Szenario: Es gibt einige Branchenriesen, die nach Erfolgsserien eine lange Zeit nicht mehr um große Titel mitgespielt haben. Einige Beispiele:

- In Frankreich stellte Olympique Lyon mit sieben Titeln in Serie zwischen 2002 und 2008 einen Rekord auf - danach wurden die Südfranzosen nie mehr Meister.

- In England gewann Manchester United zwischen 2007 und 2013 noch fünf Mal den Meistertitel, seitdem ist an der Spitze, abgesehen von nationalen Pokalsiegen und einem Erfolg in der Europa League, nicht mehr viel von den "Red Devils" zu sehen.

- In Italien räumte Juventus Turin zwischen 2012 und 2020 alle Meistertitel ab, seit drei Jahren hat Juve im Titelkampf nichts mehr zu melden.

- Noch schlimmer erging es der AC Mailand, die zwischen Ende der 1980er und 1990er Jahre in der Serie A sehr dominant war, doch im neuen Jahrtausend stehen erst drei Meistertitel zu Buche. Statt alle zwei Jahre wie in den 1990ern gibt es den Scudetto in den 2000er-Jahren nur noch jede achte Saison (zuletzt 2022, 2011, 2004) für die Rossoneri.

- Auch ein Beispiel auf Europacupebene lässt aufhorchen: Real Madrid holte zwischen 1998 und 2002 drei Mal die Champions League. Danach folgte noch ein Halbfinaleinzug (2003) und ein Einzug ins Viertelfinale (2004), bevor für die Königlichen sechs Mal in Folge im Achtelfinale der Königsklasse Schluss war.

Drei Gründe für Erfolglosigkeit von Topklubs

Die Gründe dafür, dass einst als fast unbesiegbar geltende Teams plötzlich nichts mehr mit der Titelvergabe zu tun haben, wirken oftmals sehr unterschiedlich. Im Kern geht es aber fast immer um drei Faktoren:

- Es muss auf der Führungsebene des Klubs ein Umbruch bewältigt werden.

- Es muss am Kader ein großer Umbruch durchgeführt werden.

- Aus irgendeinem Grund ist weniger Geld in der Klubkasse vorhanden oder andere Konkurrenten haben plötzlich mehr Geld in der Hand.

In der Folge werden vor allem bei der Trainerentscheidung Fehler begangen und oftmals auch Spieler verpflichtet, die nicht die Erwartungen des Klubs erfüllen.

FC Bayern muss 2 Umbrüche meistern

Beim FC Bayern stehen tatsächlich zwei Umbrüche auf dem Programm: Der Rückzug von Präsident Uli Hoeneß und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge auf Führungsebene hat den Klub schwer getroffen. Der neue Klubchef Oliver Kahn und besonders Manager Hasan Salihamidzic erreichen trotz langer Einarbeitungszeit nicht annähernd das Niveau ihrer Vorgänger.

Diese Konstellation wirkt sich wiederum negativ auf den großen Kaderumbruch der Bayern aus. Zwischen 2019 und 2022, also innerhalb von drei Jahren, hat der Verein eine halbe Startelf an Legenden verloren und zumeist nicht adäquat ersetzen können. Zu nennen sind die Flügelstürmer Arjen Robben und Franck Ribery, die Defensivakteure David Alaba, Javi Martinez, Jerome Boateng sowie Mittelstürmer Robert Lewandowski.

Selbst Salihamidzic ist mit Kader unzufrieden

Was für alle Beobachter offensichtlich ist, das betonte sogar Manager Hasan Salihamidzic am Samstag nach der 1:3-Niederlage gegen RB Leipzig: dass es deutliche Korrekturen am Kader des FC Bayern geben muss. Der Kaderumbruch ist ihm demnach nicht gelungen.

Der Knackpunkt allerdings: Dass der Kaderumbruch nicht gelungen ist, liegt wiederum daran, dass der Umbruch auf Führungsebene gescheitert ist. Salihamidzic ist seit 2017 - zunächst als Sportdirektor, dann als Sportvorstand - in die Kaderplanung federführend eingebunden. Kahn ist seit 2020 Vorstandsmitglied und seit Sommer 2021 Klubchef, weshalb er praktisch gesehen die oberste Instanz in der Kaderplanung ist. Die Fehler in der Kaderplanung sind demnach zuordenbar, zumal die Bayern betonen, dass ihre (entnervten) Trainer nur ein begrenztes Mitspracherecht bei der Kaderplanung besitzen.

Fazit: Der FC Bayern hat zwei Umbrüche nicht "bayernlike" gemeistert. Sollte es nun nach der Saison nicht entscheidende Veränderungen auf beiden Ebenen - Klubführung und Kader - geben, droht dem "roten Imperium" ein ähnliches Schicksal wie einigen Branchenriesen zuvor.

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Daniel Michel  
23.05.2023