Auf dem Weg zur Ikone
Darum trumpft Bellingham bei Real besser auf als beim BVB

Seine starken Leistungen bei Borussia Dortmund veranlassten Real Madrid im Sommer dazu, über 100 Millionen Euro auszugeben. Dabei sind die bisherigen Darbietungen Jude Bellinghams im Gewand der Königlichen sogar noch fulminanter als beim BVB. Nun kommt sogar der Verdacht auf, die Spanier könnten ein Schnäppchen geschossen haben. Ist dem wirklich so?
Bellingham ist Perez' nächster Galactico
Wenn Real Madrids Präsident Florentino Perez die Geldschatulle öffnet und mal eben über 100 Millionen Euro für einen Neuzugang lockermacht, ist das eine apodiktische Handlung: Es kommt jemand, der Magie entfachen soll, ja ein 'Galactico' soll er sein. Als Jude Bellingham im Sommer von Borussia Dortmund in die spanische Hauptstadt wechselte, wusste er, mit welch titanischer Erwartungshaltung er fortan zurechtkommen muss. Eden Hazard galt ihm dabei als Warnbeispiel. Der Belgier war 2019 für 115 Millionen Euro vom FC Chelsea zu den Blancos gewechselt. In den darauffolgenden vier Jahren hatte es der einst allseits begnadete Ballkünstler auf gerade mal 76 Einsätze und sieben Tore gebracht. Deshalb kamen Real und Hazard im Sommer überein, es sei im Sinne aller Beteiligter, das bis 2024 gültige Arbeitspapier vorzeitig aufzulösen. Nun befindet sich Hazard im Ruhestand und Bellingham dort, wofür Hazard einst vorgesehen war. Damals als Perez eine Rekordsumme für den Belgier lockergemacht hatte - ein exorbitant teures Missverständnis, wie heute bekannt ist.
Hazard war deshalb in Madrid gescheitert, weil er bereits mit der falschen Einstellung angekommen war. Bei seiner Ankunft in der spanischen Hauptstadt hatte er das ein oder andere Kilogramm zu viel mit aus dem Urlaub angeschleppt; spätestens nach einer Verletzung im Champions-League-Spiel gegen Paris Saint-Germain im November 2019 war er nicht mehr der Alte gewesen. Das Ende vom Lied ist bekannt. Bellingham dagegen kam voller Tatendrang im Kapitale Spaniens an. "Ich weiß, dass die Ansprüche hoch sind, es ist ein großer Klub. Es ist eine brillante Verantwortung. Der Druck hat mich bislang überall hin verfolgt", ließ der Engländer im Rahmen seiner Vorstellung verlauten.
Bei Real Madrid darf Bellingham offensiver ran
Als Bellingham madrilenischen Boden betrat, war die Ära nach Karim Benzema bereits eingeläutet worden. Der Franzose hatte sich nach 648 Spielen und 354 Toren gen Al-Ittihad nach Saudi-Arabien verabschiedet. Und da sich Real Madrids Entscheider gegen eine Verpflichtung eines neuen Mittelstürmers ausgesprochen hatten, veranlasste Trainer Carlo Ancelotti ganz einfach eine Systemänderung: weg vom etablierten 4-3-3, hin zum innovativen 4-1-2-1-2. Innovativ deshalb, weil Ancelotti für die Rolle hinter den beiden Stürmern Bellingham vorsah. Der 20-Jährige hatte nämlich in seiner letzten Saison für Borussia Dortmund vielversprechende 14 Tore in 42 Spielen erzielt - das als zentraler Mittelfeldspieler wohlgemerkt. Ein Taktikfehler von Trainer Edin Terzic, nicht damals schon die Torjäger-Qualitäten Bellinghams effektiver einzusetzen? Nun ja, beim 4-3-3 der Westfalen hatte sich seinerzeit Sebastien Haller in der offensiven Rolle im Aufschwung befunden. Debatten, dass Bellingham im Dortmunder Dress auch weiter vorn Sinn ergeben würde, hatten sich darob erübrigt. Ancelotti dagegen schöpfte aus der personellen Not - Benzema sei Dank - einen Vorteil zu Gunsten Bellinghams. Da der Italiener erkannte, dass der Engländer beim BVB dazu imstande gewesen war, ein torgefährlicher Mittelfeldspieler zu sein, setzte er ihn in seinem neuen 4-1-2-1-2 einfach eine Position weiter vor.
Bereits der Saisonstart sollte zeigen, dass Ancelottis Vorhaben Früchte trägt. Bellingham erzielte an den ersten vier Ligaspieltagen fünf Tore. Nach dem achten Ligaeinsatz überholte er sogar keinen Geringeren als Cristiano Ronaldo. Während Bellingham zum besagten Zeitpunkt bei acht Toren und zwei Assists stand, hatte Ronaldo nach seiner Ankunft von Manchester United im Sommer 2009 in den ersten acht Ligapartien "nur" siebenmal getroffen und einmal assistiert. Mittlerweile besitzt Bellingham nach wettbewerbsübergreifend 13 Spielen bereits 13 Treffer auf dem Konto. "Er ist geboren, um für Real Madrid zu spielen", attestierte ihm etwa unlängst sein Offensivkollege Vinicius Junior.
Bellingham besitzt die Real-DNA
Die DNA von Real Madrid impliziert nämlich seit jeher, dass bis zum Schluss mit aller Macht um den Sieg gekämpft wird. Von Bellinghams bis dato 13 Real-Toren fielen allein vier relativ spät (81., 90.+4, 90.+2, 90.+5) und waren mehr oder minder spielentscheidend. So avancierte Bellingham seit seiner Ankunft schon das ein ums andere Mal zum Matchwinner. Zuletzt auswärts in Barcelona beim 2:1-Erfolg im Clasico, wobei er mit einem Doppelpack exzellierte. Naturgemäß steigt der Stellenwert bei den Fans damit recht zügig empor. "Hey Jude" in Anlehnung an den bekannten Beatles-Song ertönt daher gegenwärtig regelmäßig im Lager der Real-Anhänger. Überraschend ist dies keineswegs. Sondern nur die richtige Folgerung eines Hypes, den Bellingham entfacht hat.
Das anspruchsvolle Publikum des spanischen Rekordmeisters schätzt beileibe nicht nur Bellinghams sportlichen Qualitäten, sondern auch seine Authentizität. Als er in Madrid vorgestellt wurde, akzentuierte er, sich mit dem Wechsel zu Real einen Kindheitstraum erfüllt zu haben. Geld sei ihm nicht wichtig. Dabei hätte er wohlgemerkt beim ebenfalls stark um ihn buhlenden Manchester City mehr verdienen können. Weil ihm das gleichgültig war, verschaffte er sich beim Anhang prompt Sympathiepunkte. Und noch mehr kollektiert er, indem er schon regelmäßig versucht, Phrasen auf Spanisch zum Besten zu geben. Kein Wunder, dass das Balsam für die Seele der Madridistas ist. Beim von vielerlei Fans verpönten Gareth Bale wusste man schließlich nach neun Jahren in der spanischen Hauptstadt nicht einmal, ob er nun des Spanischen mächtig ist oder nicht.
Bei Real kommt das positiv an, wofür er beim BVB angeeckt sein soll
Bellingham identifiziert sich dagegen voll und ganz mit Real Madrid und dessen Fans. Er ist der Star der Stunde und vermag die Anhänger auf seine Seite zu ziehen. Ja, das versuchte er bei Borussia Dortmund auch. Doch da soll es angeblich nicht allen so gut in den Kram gepasst haben. So wurde nach seinem Abgang sogar der Vorwurf laut, Teile der BVB-Kabine seien froh über Bellinghams Abgang, da sich dieser zuweilen affektiert in den Vordergrund gedrängt habe. Bei Real hingegen sind solche Anschuldigungen völlig fehl am Platz. Das mag auch daran liegen, dass Bellingham in Madrid nicht anzuecken scheint. Im Gegenteil: Besonders mit den ähnlichaltrigen Mitspielern wie Vinicius Junior (23), Rodrygo Goes (22) und Aurelien Tchouameni (23) versteht sich Bellingham prächtig. Es heißt sogar, sie wohnen recht nah beieinander und würden trainingsfreie Nachmittage und Abende regelmäßig miteinander verbringen, um zusammen abzuhängen. Zuletzt wurden sie gemeinsam bei einem Basketball-Match gesehen. Auf dem Rasen wiederum spiegelt sich dies in Harmonie und daraus resultierendem sportlichen Erfolg wider. "Er ist nach so einer kurzen Zeit schon erstaunlich gut integriert", schwärmte Toni Kroos von Bellingham bereits während der Saisonvorbereitung und lobte die erstaunliche Reife des 20-Jährigen.
Und man braucht sich nichts vorzumachen: Real Madrid steht qualitativ noch mal mindestens eine Stufe über dem BVB. Dementsprechend ist zu erwarten, dass die kollektive Qualität die individuelle hebt - und eben anders rum. Heißt im Umkehrschluss: Bellingham ist bei Real Madrid noch mal stärker als bei Borussia Dortmund, weil auch seine neuen Mitspieler stärker sind. Obendrein hat der Engländer derzeit einfach einen Lauf. Kein Star steht bei Real Madrid aktuell so im Fokus wie er, die Fans tragen ihn auf Händen. Da mag automatisch vieles besser, vieles geschmeidiger laufen. "Zurzeit gelingt mir alles. Ich lerne viel von meinen Mitspielern und den Trainern. Ich will einfach nur lernen und mich verbessern", so Bellingham, der von Tag zu Tag und Spiel zu Spiel weiter reift und reift. Ob die in ihn angelegte Ablöse nördlich der 100-Millionen-Euro-Marke tatsächlich ein Schnäppchen darstellt, wird sich allerdings erst dann bilanzieren lassen, wenn er seinen Lauf konstant fortsetzt und dem Titel und weitere Rekorde entspringen. Jedenfalls scheint er auf dem besten Weg dorthin.
