Unbefangen?

Kritik an „Brazzo“: Betreibt Matthäus strategische PR für Freund Flick?

Spielten in den 1990er Jahren gemeinsam beim FC Bayern: Salihamidzic (l.) und Matthäus (r.)
Spielten in den 1990er Jahren gemeinsam beim FC Bayern: Salihamidzic (l.) und Matthäus (r.); Foto: Imago

Lothar Matthäus zählt zu den am häufigsten zitierten Fußball-Experten in Deutschland. Aber gibt er seine Urteile stets wertneutral ab?

Lothar Matthäus war Weltfußballer und Weltmeister, als TV-Experte legt er oftmals den Finger bei den Klubs und Nationalteams in die Wunde, so dass es anderen Funktionären richtig wehtut. Zu Matthäus Lieblingsthemen zählt natürlich sein Ex-Klub FC Bayern, für den er von 1984 bis 1988 und von 1992 bis 2000 spielte. Schon seit einigen Wochen wiederholt Matthäus dabei folgende Kernaussage: Herausforderer RB Leipzig besitzt eine bessere Ersatzbank als Titelverteidiger FC Bayern.

Salihamidzic stellt Kader zusammen

Diese Kritik ist, wenn man zwischen den Zeilen liest, zielgenau an Bayerns Sportvorstand Hasan Salihamidzic adressiert. Schließlich ist der frühere Teamkollege von Matthäus für die Kaderplanung der Münchner verantwortlich. Dass der Sextuple-Sieger auf den Spielerpositionen 12 bis 18 schwächer besetzt sein soll als die Herausforderer aus Leipzig, das ist mit der schlimmste Vorwurf den man einem Manager des FC Bayern machen kann. Wobei man bei Matthäus genauer hinhören und hinschauen sollte. Denn Ergänzungsspieler wie Bayerns Eric Maxim Choupo-Moting besitzen beispielsweise große internationale Erfahrung, Talente wie Marc Roca enorme individuelle Fähigkeiten. Sie sind kaum vergleichbar mit beispielsweise jenen Fertigkeiten von Leipzigs Ersatzspieler Hee-chan Hwang.

Leipzig-Spieler besser integriert?

Was Matthäus wohl eher mit seiner Kritik ausdrücken will: Bekommen die Ersatzspieler von RB Leipzig eine Einsatzchance, funktionieren sie schneller und sind besser integriert im Spielsystem von Trainer Julian Nagelsmann. Erhalten derzeit Ergänzungsspieler des FC Bayern eine Chance, beginnt die Kompaktheit des Münchner Teams zu bröckeln. Das muss nicht unbedingt an der individuellen Qualität der Ergänzungsspieler allein liegen, es kann auch überwiegend mit Eingewöhnungsproblemen der sehr spät verpflichteten Neuzugänge - fast alle kamen am letzten Tag der Transferperiode - zusammenhängen.

Echte Freundschaft zwischen Matthäus und Flick

Diplomatisch heikel ist die Kritik von Matthäus an Salihamidzic dennoch. Denn die Frage ist, ob Matthäus dieses Urteil unbefangen ausspricht. Matthäus spielte in den 1980er Jahren zusammen mit Hansi Flick im Mittelfeld des FC Bayern, daraus ist eine tiefgreifende Freundschaft entstanden. Matthäus ist auch der Patenonkel eines der Kinder von Flick – und beide Freunde, so darf man schwer davon ausgehen, stehen in Kontakt und tauschen sich privat wohl etwas offener über Themen des FC Bayern aus. Womöglich hat Flick in einem dieser Gespräche unter Freunden auch seinen Unmut über die Kaderzusammenstellung des FC Bayern geäußert, die Matthäus nun geschickt über die Schiene „Leipzig hat die besser Bank“ verpackt. Sicherlich ist dies nur eine Vermutung, doch noch eine andere Aussage von Matthäus über Flick lässt den genauen Beobachter irritiert zurück.

Flick verließ Salzburg und Hoffenheim vorzeitig

Zuletzt wurde Matthäus bei Sport1 gefragt, ob Hansi Flick vorzeitig aus seinem Vertrag beim FC Bayern aussteigen könnte. Matthäus wischte die Gerüchte vom Tisch: „Nein, Hansi Flick hat einen Vertrag bis 2023. Er ist jemand, der Verträge erfüllt, auch wenn es vielleicht mal nicht so läuft.“ Doch faktisch hat Flick schon einige Male Verträge nicht erfüllt. Bestens in Erinnerung sollte Matthäus noch die gemeinsame Zeit bei RB Salzburg haben. Matthäus holte seinen Freund als Unterstützung ins Trainerteam hinzu, doch sehr schnell kamen in Salzburg Probleme auf - und Flick zog es nach nicht mal zwei Monaten als Co-Trainer weiter zur deutschen Nationalmannschaft. Auch in Hoffenheim stieg Flick 2018 vorzeitig als Sportdirektor aus seinem langfristigen Vertrag aus. Das von Matthäus schöngezeichnete Bild vom treuen und Widerstände trotzendem Hansi Flick entspricht demnach nicht ganz der Realität, auch wenn Flick jeweils gute Gründe für seinen Abgang besaß.

Dennoch wird man den Eindruck nicht ganz los, dass ein Lothar Matthäus kurz vor seinem 60. Geburtstag womöglich strategische Werbung für seinen Freund Hansi Flick betreibt.

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Daniel Michel  
24.02.2021